05.01.2019

Die „Kinignocht“

Von glühenden Kohlen, würzigem Duft und beständigem Gebet Das "Räuchern" ist ein gelebter Brauch in Südtirol, nicht nur, aber vor allem auf den Bauernhöfen.
Die Rauhnächte
Auf vielen Südtiroler Höfen gehört das Räuchern am Abend des 5. Jänner bis heute zu einem bedeutenden Bestandteil des bäuerlichen Lebens. Die „Kinignocht“ – die Nacht, die dem Dreikönigstag vorausgeht – ist die dritte Rauhnacht nach jenen vom 24. auf den 25. Dezember und vom 31. Dezember auf den 1. Jänner. Früher, als das Leben auf den Bauernhöfen noch klaren Abläufen folgte, freuten sich vor allem die Kinder auf das Räuchern. Neugierig fragten sie sich, ob in der ersten Rauhnacht – der heiligen Nacht – die Tiere im Stall wirklich miteinander reden konnten. Dass dem so sei, wurde ihnen über die Generationen hinweg überliefert. Ältere Menschen erzählen noch heute, dass sie nach der Mitternachtsmette neugierig und ängstlich zugleich an der Stalltür lauschten, um an den Gesprächen der Tiere teilzuhaben.

C+M+B
Während des Räucherns in der „Kinignocht“ wird mit weißer Kreide über den Türen zum Stall, Stadel und Wohnhaus die aktuelle Jahreszahl samt C+M+B geschrieben. Die drei Buchstaben stehen für „Christus mansionem benedicat". Übersetzt heißt das "Christus segne dieses Haus". C, M und B sind auch die Anfangsbuchstaben von Caspar, Melchior und Balthasar. Schon im Mittelalter schlüpften die bis dahin weit verbreiteten Neujahrssänger – durchwegs erwachsene Männer – in die Rollen der heiligen drei Könige. Mit ihrem Gesang und den mitgebrachten Gaben linderten sie die Not der Menschen. Diese Tradition hat sich erhalten. Auch in den kommenden vier Tagen ziehen in Südtirol Sternsinger von Haus zu Haus. In jede Wohnung bringen die Mädchen und Jungen Weihrauch und Kreide zum Räuchern und gute Wünsche für das neue Jahr. Die Spenden gehen in die Entwicklungszusammenarbeit.


Der „Kinigabend“
Der Bauer hat die Tiere im Stall versorgt, die Bäuerin das Rauchpfandl aus dem Keller geholt und das Holz im Küchenherd verbrennen lassen. Mit einer Zange gibt sie die glühenden Kohlen in das Rauchpfandl und verteilt Weihrauch darauf. Vor allem die Kinder lieben den würzigen Duft der schmelzenden Harzperlen.
Die Haus- und Hofsegnung führt anfangs ins Freie. Der Bauer trägt das Rosenkranzgebet vor, die Familienmitglieder beten nach. Die glühenden Kohlen und die Kerzen in den Laternen leuchten in der Dunkelheit. Mit dem Weihwasser aus der mitgetragenen Kanne besprengen die Bauersleute das Heu im Stadel, die Kartoffeln im Keller und die Kühe im Stall. Das „Kinigwasser“ wurde am Nachmittag in der Kirche geweiht und soll Mensch und Tier vor Krankheit und Unheil bewahren. Das älteste Kind überschreibt die Türen zu Stadel, Stall und Keller mit der neuen Jahreszahl und C+M+B.
Gleichmäßig singend klingt das Rosenkranzgebet durch die Nacht. Am Ende führt der Segenszug in das bäuerliche Wohnhaus. Auch dort schwingt der Bauer das Rauchpfandl über Betten, Kästen und Tische. Die häufig hinzugefügten Weihrauchperlen sorgen für den angenehm bitteren Rauchduft, der noch tagelang im Haus verweilen wird.
In der Stube ist der große Tisch in die Mitte geschoben. Eltern und Kinder versammeln sich zum Abschluss dort. Drei Mal umrundet der Bauer den Tisch mit dem Räucherpfandl und spricht ein Segensgebet. Die Nasen der Familienmitglieder nehmen den harzigen Rauch zum letzten Mal auf. Alle freuen sich über das süße Gebäck und den Tee. Die ausgebrannte Kohle kommt in den Küchenherd und das leere Räucherpfandl wieder in den Keller.
Am Nachmittag des Dreikönigstages (6. Jänner) verlangt die Tradition noch das Besprengen der zum Hof gehörenden Wiesen und Wälder mit Weihwasser. Wer sich von den Kindern früher dazu mit dem eigens gewundenen Getreidebüschel bereiterklärte, wurde danach mit einer heißen Hauswurst belohnt. Das so geheiligte Büschel blieb das ganze Jahr über an einem Baum in der Nähe des Bauernhauses hängen. Und das Heu, davon sind die Bauern bis heute überzeugt, wächst auf gesegneten Wiesen saftiger und dichter als anderswo.